Wenn wir uns durch unsere liebsten Onlineshops klicken, vergessen wir schnell, dass Menschen nicht erst seit der Erfindung des Internets bequem von zuhause aus einkaufen können. Der Versandhandel blickt inzwischen auf eine rund 150 Jahre lange Geschichte zurück und hat in dieser Zeit etliche Veränderungen mitgemacht.
Die Anfänge des Versandhandels
Der Herrenausstatter Mey & Edlich gilt als Begründer des deutschen Versandhandels. Bereits 1876 begann der Versand von Stoffwäsche, kurze Zeit später wurden die ersten Kataloge gedruckt.
Weitere Unternehmen folgten in den Jahren darauf. Eine erste Blütezeit erfuhr der Versandhandel in den 1920er Jahren. In diesem Jahrzehnt wurden große Versandhäuser wie Baur, Klingel, Quelle, Schöpflin, Bader, Vorwerk und Neckermann gegründet.
Sie alle waren zunächst als Spezialversandhändler tätig und auf eine ganz bestimmte Warengruppe ausgerichtet. Ganz anders entwickelte sich der Versandhandel beispielsweise in den USA und Groß Britannien. Hier wurde von Anfang an auf ein deutlich breiteres Sortiment gesetzt.
Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Versandhandels um die Jahrhundertwende war der stetige Ausbau des Eisenbahnnetzes. Hierdurch wurde gewährleistet, dass die Waren schnell und verhältnismäßig günstig in alle Ecken des deutschen Reiches versendet werden konnten.
Weltkrieg und Wirtschaftswunder
Nachdem der Versandhandel zur Zeit des 2. Weltkriegs nahezu zum Erliegen kam, erfuhr er in den 1950er Jahren einen wahren Aufschwung. In der Wirtschaftswunder-Zeit kauften nicht nur große Versandhäuser kleinere auf, sondern entwickelten sich auch hin zu Universalhändlern. 1950 erschien außerdem der erste Otto-Katalog.
Um der stetig wachsenden Nachfrage und auch dem immer größer werdenden Sortiment gerecht zu werden, wurden die ersten Logistikzentren erbaut und eigene Transportsysteme etabliert.
Die Entwicklung des Versandhandels in der DDR
Während der Katalogversand in der BRD schon kurze Zeit nach Kriegsende für neue Konsumfreuden sorgte, machte sich in der DDR schnell Unmut breit. Denn hier waren viele Produkte, die durch die staatliche Handelsorganisation angeboten wurden, häufig nicht lieferbar.
Irgendwann konnten lediglich noch Saatgut und Kondome per Katalog bestellt werden, der restliche ostdeutsche Versandhandel wurde zum 13. August 1976 eingestellt – offiziell wegen der „flächendeckend besseren Versorgungslage“, inoffiziell, weil es einfach nichts gab, was verschickt werden konnte. (Quelle)
Die Hochphase der Kataloge
Weil es bis dato natürlich keine digitalen Möglichkeiten gab, blieb der Versandhandel mehr als 100 Jahre ausschließlich analog. Als bevorzugtes Medium zur Präsentation der Waren etablierte sich von Anfang an der Katalog. Dieser umfasste zunächst wenige, später dann mehrere 100 Seiten.
Nach der deutschen Wiedervereinigung und im Laufe der 1990er Jahre schafften es einige Exemplare sogar bis auf 1.000 Seiten und waren damit waschechte Schwergewichte. Doch diese Hochphase hielt nicht lange an.
1994: Der Beginn des E-Commerce
Um die Entstehungsgeschichte des Onlineversandhandels ranken sich inzwischen zahlreiche Mythen, die unter anderem hier nachgelesen werden können. Als „offizielle Geburtsstunde“ des E-Commerce gilt der 11. August 1994. An diesem Tag fand der erste dokumentierte Kauf über einen Onlineshop (eine CD des Musikers Sting über den Onlinemarktplatz Netmarket) statt.
Ab da entwickelte sich der Versandhandel rasant weiter. Online-Riesen wie Amazon und eBay betraten die Bühne und sorgten dafür, dass der konventionelle Versandhandel an Bedeutung verlor. Viele der klassischen Versandhäuser meldeten in den folgenden Jahren Insolvenz an. Eines der wenigen Unternehmen, die die digitale Transformation gemeistert haben, ist die Otto Group.
Paket-Boom und Liberalisierung des Zustellungsmarktes
Je beliebter der Versandhandel wurde, desto mehr Pakete mussten natürlich auch verschickt werden. Dies stellte vor allem für die Deutsche Bundespost und später die Deutsche Post AG enorme Herausforderungen dar.
Trotzdem dauerte es bis in die 2000er Jahre, bis eine schrittweise Liberalisierung der Post- und Paketzustellung erfolgte. Heute wäre der Versandhandel ohne zusätzliche Anbieter wie Hermes, DPD, GLS und UPS unvorstellbar.
Wachsende Beliebtheit und Corona-Hoch
Während Kataloge im Versandhandel nach und nach ausstarben (der letzte Otto-Katalog wurde 2018 verschickt), wuchs der Zuspruch für den E-Commerce seit Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich. Online-Auktionen, große Marktplätze und spezialisierte Nischenshops veränderten das Kaufverhalten vieler Menschen nachhaltig und sorgten für völlig neue Geschäftsideen, Arbeitsplätze und eine Menge Innovation.
Seinen bisherigen Höhepunkt erreichte der Onlinehandel im März 2021 – also „mitten in der Corona-Krise“. Als stationäre Geschäfte weitestgehend geschlossen blieben, war es nur logisch, dass viele Menschen im Internet einkauften. Doch danach sanken die Nachfrage und mit ihr die Umsätze wieder kontinuierlich. (Quelle) Die Zahl der Menschen, die via E-Commerce einkaufen, stieg trotzdem auch nach Corona immer weiter an.
Probleme und Herausforderung des modernen Versandhandels
Wurden früher Kleidung, Haushaltsgeräte und andere Waren noch mit sehr viel Bedacht ausgewählt und gekauft, herrscht heute ganz eindeutig eine „Mehr ist mehr“-Mentalität. 2022 wurden in Deutschland rund 4,2 Milliarden Pakete zugestellt (Quelle). Hinzu kommen unzählige Retouren, weil Produkte beispielsweise nicht den Erwartungen entsprechen. Diese Flut an versendeter Ware bringt gleich mehrere Probleme und Herausforderungen mit sich:
- Umweltbelastung durch lange Transportwege (teils um die halbe Welt)
- Entsorgung vieler retournierter Waren
- Überproduktion, v.a. im Fast Fashion-Bereich
- prekäre Arbeitsbedingungen bei Versand- und Subunternehmen
- erhöhtes Risiko von Kaufsucht durch Ratenzahlung und Mini-Kredite
Wie sich der Versandhandel in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterentwickeln wird, kann natürlich nicht mit Gewissheit vorausgesagt werden. Fakt ist jedoch: Die Erfolgsgeschichte ist noch lange nicht zu Ende.